Der kleine Dolph und das Jahr
sghEs war einmal ein kleiner, pfiffiger und wissbegieriger Junge namens Dolph. Es war der 31. Dezember - Silvester - und Dolph war gerade auf dem Heimweg. Er war in der Frühe zum Spielen zu seinen Freunden aufgebrochen, damit sie gemeinsam der Silvesternacht und dem Feuerwerk entgegenfiebern konnten. Vergnügt hüpfte er über den Gehweg, als plötzlich ein schwer beladenes, sehr schnelles Wesen seinen Weg kreuzte und dann stehenblieb.
„Hallo, kleiner Mann, wer bist denn Du?“ Dolph blickte überrascht an seinem Gegenüber hoch und sagte „Ich bin der kleine Dolph und wer bist du. Und was trägst Du in Deinen schweren Taschen?“ „Ich bin das Jahr, und in meinen Taschen trage ich die zwölf Monatsbeutel bei mir. Sieh hier, der Dezember ist gerade noch im Gebrauch.“ Die zwölf Beutel lagen aufgeteilt in vier kleine Kisten, die jeweils die Aufschrift der Jahreszeit trugen. Der Dezember gehörte in die Kiste mit der Aufschrift ‘Winter’. Dolph war tief beeindruckt. So etwas hatte er zuvor noch nie gesehen. „Wow, da hast Du aber ganz schön viel zu tragen.“ sagte Dolph. „Das kannst Du glauben,“ antwortete das Jahr, „aber die Lasten zu tragen ist nicht das schwerste in meinem Beruf. Viel schlimmer ist die Koordination von Tagen, Wochen und Monaten. Komm setz Dich zu mir, ich werde dir alles genau erklären.“ Das Jahr zauberte aus seinem Rucksacke eine Bank hervor und beide setzten sich darauf. Dolph keine Beine baumelten vor lauter Aufregung hin und her, so gespannt war er auf die Geschichte, die das Jahr zu erzählen hatte.
„Als Jahr bin ich sozusagen das Oberhaupt der Tage, Wochen, Monate und Jahreszeiten und glaube mir, es ist schwer genug diese Rasselbande unter Kontrolle zu halten. Du kannst es Dir nicht vorstellen: 365 Tage habe ich. Die Sonntage meinen schon, sie seien etwas ganz Besonderes, weil die Menschen sie besonders mögen, weil viele nicht arbeiten müssen und ihre Freizeit genießen können. Die Feiertage jedoch sind mindestens noch einmal doppelt so wichtig, weil sie jeder einen Titel tragen und sich so von den anderen Tagen abheben. Die 52 Wochen, als eine Art Abteilungsleiter meinen, sie haben das Kommando über ihre sieben Tage und somit auch schon Mitspracherecht, bei wichtigen Entscheidungen. Die 12 Monate, sozusagen als Direktoren, sitzen nur rum, lassen die anderen für sich arbeiten und regen sich über die Jahreszeiten auf.
Natürlich möchte jeder Monat viel lieber in einer anderen Jahreszeit angesiedelt werden. Dem einen ist es zu kalt, dem anderen zu warm, den meisten regnet es zu viel und wer nicht genügend Feiertage hat meckert die ganze Zeit nur. Und dann das Geschnatter. Alle reden durcheinander, ohne Unterlass und so richtig zufrieden ist eigentlich keiner.“ Das Jahr erwählte, dass es dafür verantwortlich war, dass die Reihenfolge aller Tage, Wochen und Monate eingehalten werden, das entsprechende Wetter auf die Erde geschickt wird und sich die Natur mit allen Tieren und Pflanzen entsprechend der Monate und Jahreszeiten verhielt. „Armes, armes Jahr“ flüsterte Dolph und tätschelte ihm die alte Hand: „da hast Du wirklich keinen leichten Stand.“ „Junger Mann, da hast Du recht und ich mache diese Arbeit schon unendlich lange und wie es aussieht ist auch keine Pensionierung in Sicht. Das schlimmste ist, dass ich auch niemals Urlaub machen kann. Nur heute in er Silvesternacht, habe ich frei. Wenn alle Menschen den Jahreswechsel feiern, die Tiere und Pflanzen ruhen und alle damit beschäftigt sind, das neue Jahr zu begrüßen, dann habe ich frei. Während ich einen neuen Namen bekomme, kann ich mich mal so richtig ausschlafen und wenn ich morgen aufwache, fühle ich mich fast wie neu und meine Arbeit beginnt von vorne. Bei diesem Jahreswechsel werde ich mich besonders gut erholen, weil sehr viel alter Ballast entfernt wird. Noch trage ich die Zahl 1999. Ab morgen jedoch beginnt mit dem Jahr 2000 nicht nur ein neues Jahr, ein neues Jahrzehnt und Jahrhundert, sondern auch ein neues Jahrtausend. Und wenn alles richtig klappt, und die Menschen sich wieder einmal auf sich selbst besinnen, dann kann das 21. Jahrtausend schon etwas ganz Spezielles werden. Für mich bringt es natürlich besonders viel Arbeit, aber mein Beruf hat schließlich mit Berufung zu tun.
So, mein kleiner Freund nun habe ich dir alles erzählt und es wird schon dunkel. Lauf schnell nach Hause und wenn Du heute Nacht etwas Zeit hast, dann denke an mich.“ „Das werde ich tun, versprochen“, antwortete Dolph, umarmte das Jahr zum Abschied und winkte ihm noch lange hinterher.
Am Abend, als die Raketen gen Himmel flogen und die Silvesterböller mit lautem Knall detonierten, stand Dolph auf dem Balkon, blickte in den Himmel und murmelte leise: „Gute Nacht, liebes altes Jahr, schlafe gut und träum etwas Schönes.“